Donnerstag, 22. Mai 2008

Meine Tagesreise

6:30 Uhr in der Lufthansa-Maschine von München nach Paris. Es ist Samstag. Was heißt, dass nur Touristen im Flieger sitzen. Ich scheine der einzige in schwarzen Schuhen zu sein. Alle anderen tragen Turnschuhe von der Sorte, die so unglaublich gemütlich sind, das Wochenende durch eine europäische Großstadt zu traben – und so aussehen, als hätten sie das schon ein paar mal gemacht. Links neben mir sitzt ein Ehepaar, das vergnügt in einem Paris-Führer blättert. Rechts von mir, nur durch den Gang getrennt, ein während des Fluges pennender Typ Marke Südeuropäer mit verflixt tiefen V-Ausschnitt im T-Shirt, auf dass man deutlich sehen kann, dass er seine Brust rasiert, dies aber schon seit einiger Zeit nicht mehr getan hat. Daneben noch mal ein junges Pärchen. Sie sehr blond, er trägt eine graue Baseball-Mütze mit der dadaistischen Aufschrift „Billabong“ – und sie blättern in einer Broschüre meines Arbeitgebers. Irgendwie erfüllt mich das mit der Zufriedenheit eines jungen Teenagers, der gerade zwei Klassenkameraden beim Knutschen erwischt hat.
Der Flug verläuft angenehm ereignislos. Ich sollte eigentlich schlafen. Kann aber nicht. Seit kurz vor 4 Uhr bin ich auf den Beinen. Eine Zeit, von der ich sonst nur leicht ungläubig andere erzählen höre... Ich blättere in der Samstagsausgabe der SZ, die kostenlos im Terminal auslag. Erdbeben in China, Sturm in Birma, Pipeline-Explosion in Nigeria. Daneben noch Kommentare zum deutscher EM-Mannschaft. Zum Frühstück wird ein Mini-Brötchen mit Putenschinken und ein noch kleinerer Twix-Riegel gereicht. Der fragende Gedanke kommt mir, wie viel Umsatz wohl Süßwarenproduzenten mit Flugzeugportionen ihrer kariesfördernden Produkte machen.

Ich bin auf Geschäftsreise. Meiner ersten. Zusammen mit meiner Kollegin Katrin, die ein paar Reihen vor mir tatsächlich den Schlaf der Gerechten schläft. Beneidenswert.
Wir erreichen den Flughafen Charles de Gaulle nach Zeitplan. Wir sind hier, um eine Boyband abzuholen und mit ihnen den Tag über ein Shooting in Disneyland durchzuziehen. Die Jungs sind um die 20, nett und pünktlich. Sie haben das gewisse Abgefahrene, was man wohl braucht, um die Herzen junger Mädchen zu packen. Ich hatte von Ihnen vorher noch nie gehört. Aber meine musikalischen Kenntnisse haben irgendwann Mitte der 90er Jahre aufgehört. In dem Sinne bin ich schon alt, bevor ich alt bin. Schon tummeln sich die ersten Groupies um die Band und ich denke mir, ich habe das Falsche im Leben gelernt.
Katrin fährt mit den Jungs voraus, ich warte am Flughafen auf die Produktionscrew.
Ich sitze im Untergeschoss des Terminals 1 mit seinem Bahnhofstoilettencharme und esse ein erschreckend teures Schinken-Sandwich – die wohl französischste Spezialität, die ich in meiner Zeit Frankreich kennen gelernt habe.
Es dauert bis die Crew ihr Gepäck hat und ich sie begrüßen kann. Sie haben vier Mädchen mitgebracht, die als Fans den Tag mit der Band verbringen sollen. Aber wir wollen ihnen erst mal weiß machen, die Jungs hätten es nicht geschafft zu kommen. Plötzlich finde ich mich vor der Kamera wieder. (Nachdem ich einen Bettler verscheucht habe – Willkommen in Paris...) Gerechnet hatte ich damit nicht. Noch bevor ich darüber nachdenken kann, dass ich mich doch noch hätte rasieren sollen, sag ich einen kleinen Text auf. Der Beginn einer großen Karriere wird es wohl nicht sein...

Disney hat uns einen Minibus als Transport besorgt. Wir quetschen uns hinein und mit freudigem Erstaunen stelle ich fest, dass ich mich während der Fahrt hervorragend mit dem Fahrer auf Französisch unterhalten kann. Der rechts neben mir sitzende Kameramann ist ebenfalls ganz sympathisch.
Wir sind etwas spät dran, als wir das Resort erreichen. Wir machen uns auf den Weg zu den Walt Disney Studios, wo wir die Presseleute von Disney treffen (inklusive Katrin) sowie die zwei Manager der Band. Wir fangen an, vor dem Eingang des Parks die Fan-Mädchen zu filmen als dann – Überraschung! – die Jungs der Band hinzukommen. Ein großes Hallo und ich blocke ein paar neugierige Touristen ab.
Die erste Frage, die es zu klären gilt, ist wohin mit den Taschen der Produktionscrew. Ich schlage Guest Relations vor – da ich weiß, dass ich mich darauf verlassen kann und da ich hoffe, ein paar alte Kollegen wieder zu sehen. Von den vier hinter der Theke kenne ich noch zwei. Hinten im Büro sitzen zwei meiner alten Chefs. Meine Bitte wird mir nicht abgeschlagen. Die Zeit mit ihnen ist allerdings zu kurz. Ich bin hier zum Arbeiten und nicht aus Nostalgie.
Zurück zum Team. Das Wetter hat sich zum Positiven gewendet und eine beachtliche Entourage zieht da durch den Park: insgesamt sind wir 20 – mit Band, Fans, unseren Presseleuten, unseren Broadcastern, Band-Managern und der dreiköpfigen Produktionscrew. Nur am Rande bemerke ich, wie normal es mir erscheint, wieder hier zu sein...
Wir machen Aufnahmen im ganzen Park: bei High School Musical, auf dem Rock’n’Rollercoaster, vor Hollywood-Kulissen. Schließlich fahre ich mit „Crush’s Coaster“. Auf dem Weg aus dem Park hinaus treffen wir auf den Schauspieler Christian Ulmen. Er hatte in der Zeit, die ich am Flughafen verbrachte, Fotos für uns schießen lassen. Ich kenne seinen VIP-Guide und kann eine ganze Minute plaudern. Dann geht’s weiter.

Kaum eine Stunde haben wir in den Studios verbracht. Schnell holen wir die Taschen der Crew ab mit der Absicht, es dann in der Gepäckaufbewahrung am Disneyland Park abzugeben.
Disneyland selbst ist erfüllt mit Leben. Freundlich klingt die Musik über die Main Street. Es ist, als wäre ich nie weg gewesen.
Allerdings: als ich an der City Hall vorbeigehe – mein Wirkungsort für mehr als ein Jahr – sehe ich kein alt bekanntes Gesicht mehr. Disney ist paradox in der Hinsicht, dass es sich nie zu ändern scheint – und doch verliert mein so sehr die Menschen dort, wenn es einmal verlassen hat. Ein weiter Ex-Chef sieht mich und kommt auf mich zu – auch wenn er meint, er habe gar keine Zeit. Da sind wir schon Zwei. Es tat gut, ihn zu treffen. Kurz mache ich noch bei Baby Care Halt, wo ich auch noch eine Ex-Kollegin treffe.
Schließlich: Mittagessen. Alle anderen sitzen schon an ihren Tischen in dem eleganten Büffet-Restaurant mit seinen Marmorböden und antiken Lampen. Es schmeckt.

Dann weiter. Das Programm ist eng. Noch Aufnahmen bei Space Mountain und Big Thunder Mountain. Weiter zur Parade. Es ist nun fast 17 Uhr. Katrin und ich müssen zurück zum Flughafen. Der letzte Flug geht zwei Stunden später.

Schnell – etwas anderes gibt es Heute nicht – muss ich doch noch zur City Hall. Diesmal tatsächlich geschäftlich. Im Gang treffe ich auf liebe alte Kolleginnen. Eine stellt gleich die Frage, die sie schon in den 14 Monaten, in denen ich mit ihr gearbeitet habe, so gerne gestellt hat und fragt mich, ob ich denn in Deutschland schon eine Freundin gefunden habe. Irgendwie scheinen die versteckt fragenden Anspielungen meiner Großmutter plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Es tut gut, die Drei wiederzusehen. Aber ich hab keine Zeit. Ich würde es bedauern, doch bin ich in erster Linie dankbar, diese Menschen überhaupt gesehen zu haben – wenn auch viel zu kurz. Ich hinterlass eine kurze Grußbotschaft für die, die nicht da sind. Dann in den ersten Stock, um für die Band einen Umschlag abzuholen. Noch ein kurzer Plausch mit zwei weiteren Ex-Kolleginnen.

Und dann ist 5. Ein wenig wie Cinderella um Mitternacht, so muss auch ich nun gehen. Schnellstens. Der Zauber ist vorbei.
Wir verabschieden uns von Band, Fans, Managern und Crew. Unser Transport mit dem freundlichen älteren Franzosen, der uns auch schon hergefahren hatte, wartet bereits. Kaum dass wir im Auto sitzen, beginnt es zu schütten.
Der Fahrer wählt eine Strecke über Landstraßen und durch kleine Dörfer. Die Landschaft wirkt so friedlich und wie aus einem französischen Bilderbuch. Der Regen hört auf, die Sonne kommt hervor. Und über die weiten Ebenen aus Äckern, Wäldchen und kleinen Dörfern spannen sich zum Abschied zwei Regenbögen.

Der ganze Tag war wie ein Traum, der einem beim Erwachen so schnell entgleitet. Katrin und ich sind müde, wollen jetzt nur noch nach Hause. Doch der Rückflug verspätet sich um eine Stunde. Als wir endlich im Flieger sitzen, entschuldigt sich der Pilot mit den Worten, die Maschine habe technische Probleme gehabt...
Kurz nach 20 Uhr heben wir ab. Wieder kann ich nicht schlafen. Dieses Mal sitze ich am Fenster. Zum Abendessen reicht man uns exakt das Selbe, was es bereits zum Frühstück gab. Ich blicke hinaus. Unter uns Wolken, die mal sanft wie eine Decke daliegen und sich mal in Höhen auftürmen und in Täler absenken. Hinter uns die Abendsonne, die alles in ein goldenes Licht taucht. Ich kann nur daran denken, wie sehr mir mein Leben gefällt und welche Chancen es noch bietet. Und ich bin dankbar. Es war ein schöner Tag.

Um Mitternacht liege ich im Bett. Erschöpft. Müde. Glücklich.

Samstag, 3. Mai 2008

Mein leben in München: Geld

Geld zu haben oder es nicht zu haben, das ist in München keine Frage. Man hat es einfach, oder – wie in meinem Fall – man hat es nicht. Dann sollte man aber auch nicht darüber sprechen. Und es sich auch bloß nicht anmerken lassen!

So kam es, dass ich mich neulich zu einem Einkaufsbummel habe hinreißen lassen. Passenderweise heißt Münchens Haupt-Einzelhandelszone „Kaufinger Straße“, an der sich die beiden größten deutschen Kaufhausketten Duelle liefern. Daneben finden sich ein renommierter lokaler Herrenausstatter sowie die üblichen, weltweit agierenden Verdächtigen wie Zara und H&M. Geld ausgeben fällt leicht, gerade in einer Stadt, die es ganz gerne hat, etwas kostspieliger zu sein. Es finden sich auch zahlreiche kleinere Geschäfte. Spezialisten etwa, wie der auf Notenblätter spezialisierte Laden am Rathaus. Und fantastische Lebensmittelhändler wie der aus der romantisierenden Fernsehwerbungen hinlänglich bekannte Dalmayr – der allerdings weit aus mehr verkauft als eben nur Kaffee. Vom Viktualienmarkt, auf dem ich schon so manchen Euro gelassen habe, will ich gar nicht anfangen.

Geld wird in München ausgegeben. Es zu haben, wird vorausgesetzt. Wer es nicht hat, sollte besser so tun als ob. Und dann lässt sich dort hervorragend leben: die Restaurants und Cafés, die Clubs und Bars, die Theater und Museen, die Geschäfte und Biergärten. Ich bin gerne dabei.

Meinem Konto tut das nicht gut. Aber darüber redet man besser nicht. Man ist ja in München.