Samstag, 16. Februar 2008
München - Meine Wohnung
Es kommt eine Zeit im Leben eines jungen Menschen, zu der er das erste Mal das Elternhaus verlässt und sich alleine in der Welt herumschlagen muss. Mit Wäsche waschen, Nebenkosten und Vermietern.
In den letzten Jahren bin ich bei diesem Kampf durch so manche Wohnung gekommen. Ich habe schon in einer klammen Kammer mit lärmenden Kühlschrank neben dem Bett gewohnt, im obersten Stock eines schwankenden Hochhauses mit beeindruckender Aussicht auf die Errungenschaft der Ludwigshafener Chemie-Industrie, zur Untermiete bei einem Typen, dessen Geschäfte wohl nicht immer ganz legal waren, wie ich Heute noch vermute, und gemeinsam mit mal einem Engländer, mal einem Amerikaner, mal einem Chinesen, Belgier oder Franzosen in einem Zimmer zusammen.
Nun bin ich in München. Und fühl mich zutiefst unwohl. Vielleicht ist es das auch bei mir voranschreitende Alter, dass ich einiges einfach nicht mehr hinnehme... Eine ältere Dame (von jetzt an „Die Alte“ genannt) hat mir ein möbliertes Zimmer in ihrer Altbau-Wohnung untervermietet. Seit sechzig Jahren lebe sie hier, meint sie. Man merkt es. Überall Krimskrams, coole Möbel aus den 50ern und grausige Möbel aus den 60ern. Und dann Zeugs, was wohl nur in Bayern findet: ein Mini-Abendmahlset steht im überladenen, dunklen Flur. Ein Ludwig-Zwo-Porträt hängt im noch dunkleren Esszimmer, wo Die Alte abends stundenlang in ihrer Ecke vor einem Computer hockt. In meinem Zimmer ziert die Holzfigur irgendeiner dubiosen Heiligen eine der Ecken. Fast könnte ich sie lieb gewinnen, stünde sie nicht für alles, was ich nach gerade mal zwei Wochen an diesem Laden hier verabscheuen gelernt habe: es ist dunkel, angestaubt, überladen – ich ringe nach Luft.
Vergangenes Wochenende wurde mir morgens von der Vermieterin alias Die Alte nahe gelegt, doch bitte auch den Duschvorhang im Badezimmer nach der Dusche abzutrocknen... Ich mag nicht recht in die Küche. Ich meine, auf rohen Eiern zu gehen. Ich bin bei ihr zu Hause. Nicht bei mir. Und dafür zahle ich teuer.
Doch ich lerne. Zum Beispiel, mehr Acht darauf zu geben, wann ich den Mietvertrag zu sehen bekomme. In diesem Fall war es ein guter Tag nach meinem Einzug. Was hätte ich anders tun können als unterschreiben? Das war wohl ein Fehler... Nun, so der Vertrag, bin ich verpflichtet, Besuch anzumelden – und auf Übernachtungsgäste werde ein Aufschlag erhoben. Ich will niemanden einladen. Das ist mir so unangenehm.
Schon lange habe ich mich in meiner Haut nicht mehr so unwohl gefühlt wie hier. Es ist nichts, was sie („Die Alte“) exakt gesagt oder getan hätte. Es ist nicht so, als könne ich nicht in die Küche. Es ist nicht so, als wäre ich auf diese vier Wände beschränkt. Aber ich fühle mich eingesperrt. Gegängelt und nicht gerade respektiert.
Eigentlich ist die Wohnung in ihrem stickigen Chaos lustig: mit ihren Heiligen, den übervollen Schränken und Regalen, dem alten Holzfußboden, den uralten Urkunden, die der Familie der Alten irgendwann mal einen bescheidenen Adelstitel attestierten – und ihren zahlreichen Uhren... von denen keine richtige läuft. Nicht im Bad. Nicht in der Küche. In meinem Zimmer ist es ständig kurz nach 3. Welches 3, weiß ich nicht.
Es ist eine tote Wohnung. Ohne Leben. In zwei Wochen bin ich hier draußen. Ich habe meine Kündigung eingereicht. Die Alte ist nicht begeistert. Will die Kündigung nicht akzeptieren Doch ich gehe. Mitleid habe ich da keines.... Noch kämpfe ich auf dem erbarmungslosen Münchner Wohnungsmarkt. Aber ich weiß: hier kann ich nicht bleiben.
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