Millionen von Menschen sind unterwegs. Sie reisen von A nach B. Nutzen Bahn. Auto. Flug. Schiff. Wasauchimmer. In einer Zeit, in der e-mails in Lichtgeschwindigkeit um den Erdball verschickt werden und man sich bei Telefonkonferenzen mit den Kollegen aus Dubai, Perth und Braunschweig langweilt scheint das Bedürfnis in die Höhe geschossen zu sein, auch tatsächlich mit Menschen vor Ort sprechen zu müssen. Vor kurzem war mir dies alles noch fremd und ich blickte mit Staunen und Unverständnis auf diese Welt aus Meilenprogrammen und Rollkoffern. Das Staunen und auch die Unverständnis sind geblieben. Nur gehöre ich nun auch dazu: ich bin ein Geschäftsreisender.
Es war nun Anfang Dezember 2008. Der erste Schnee war bereits gefallen und wieder geschmolzen und ich war seit gerade einmal zwei Wochen in meiner neuen Arbeitsstelle, welche versprach, mich des Öfteren durch halb Europa – und vor allem gen Norden – zu schicken. Mit dem herannahenden Weihnachtsfest bot es sich an, in drei verschiedenen Städten für unsere Geschäftspartner kleine Abendveranstaltungen anzusetzen. Dies sollte mitunter auch den Zweck erfüllen, mich in diese Gesellschaft einzuführen.
So kam es, dass am Dienstag, den 2. Dezember, kurz vor 7 Uhr morgens mein Handy seinen fröhlichen Gitarrenklimper-Wecker erschallen ließ. Aus dem Bett raus, unter die Dusche, rasieren und schließlich in einen der neuen Anzüge hinein, die man sich extra für diese Anlässe zugelegt hatte. Draußen war noch dunkel und mir stellte sich die Herausforderungen, mein Gepäck zu schließen. Leicht zu reisen fiel mir noch nie leicht. Aber Gewalteinwirkungen gegen den Reisverschluss meines Koffers führten bislang immer zum Ziel.
Mit der U-Bahn – die in München in den Wintermonaten freundlicherweise stets so geheizt wird, dass man sich freudig wieder in die Kälte hinauswirft um dem Hitzschlag zu entgehen – ging es zum Ostbahnhof. Dort auf meine S-Bahn wartend, zog schnaufend eine alte Dampflokomotive vorbei. Wie aus einem Film der frühen 50er Jahre. Nur Heinz Rühmann fehlte am Bahnsteig...
Möchte man an der Verbindung zum Münchner Flughafen, der auf den nicht immer leicht zu ertragenden Namen „Franz Josef Strauß“ hört, etwas gutes finden, so kann man doch sagen, dass reichlich Zeit geboten wird, sich über die kommende Reise Gedanken zu machen. Während auf der 40-minütigen Fahrt das neue Hochhaus der SZ im malerischen Stadtteil Steinhausen (welcher mitunter am bekanntesten für seinen Straßenstrich sein mag) und schließlich die Ebenen Oberbayerns an mir vorbeiglitt, führte ich mir noch einmal die nun kommenden Tage vor Augen:
Heute sollte es noch nach Hamburg gehen. Zu letzt war ich als Zehnjähriger dort gewesen. Damals auf einem Campingplatz mit vielen Mücken und nahe eines der ersten bundesdeutschen IKEA-Häusern. Ich erinnere mich an Köttbullar. Nach einer kurzen Nacht sollte es weitergehen nach Frankfurt. Und schließlich Zürich.
Mein Flug ging von Terminal 2 aus. Man muss vermutlich dankbar sein, dass heutzutage Fluggesellschaften so rührend bemüht sind, den Kontakt zu ihren Mitarbeitern auf ein Minimum zu reduzieren. Das scheint den Passagieren nicht länger zumutbar zu sein. So stehen nun überall so nette Computer herum mit denen man selbst seine Bordkarte ausdrucken kann. Meine Miles&More Karte wollte die Maschine und schon wusste sie, wann ich wohin fliege. Ein gläserner Kunde zu sein überrascht immer wieder – gerade auch was seine Effizienz betrifft. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte kosten nur Zeit... Leider wird man Wolfgang Schäuble dennoch nie Standbilder errichten können...
Mein Frühstück nahm ich bei einem dieser Münchner-Kettenbäcker ein, der außer guten Brezeln (noch weigere ich mich, auf das „l“ zu verzichten) nicht viel mehr hat. Wenigstens sprach die Verkäuferin in breitem lokalen Dialekt.
Gemeinsam mit meiner Kollegin Tanja ging es durch die Sicherheitsschleuße, wo – wie wir herausfanden – in München brav nach Männlein wie Weiblein getrennt wird. Herren dürfen sich rechts begrapschen lassen, Damen links. Das Ablegen der halben Garderobe sowie die Bestrahlung sämtlicher Elektronikprodukte und Wertsachen, die ich bei mir trug, wurde stets immer noch von einem lustigen „Piep“ belohnt, welchem die gekonnt streichelenden Bewegungen der in Latex gehüllten Hand eines mittelalten Beamten folgte. Vor allem Singles mögen von einer Flugreise profitieren.
Es galt noch zu Warten. Fliegen ist überhaupt eine Sache der Geduld. Erst eine gute Stunde zum Flughafen, dann 10 bis 20 Minuten Selbst-Check-In und Gepäckaufgabe, 20 Minuten Warten und Begrapschen und schließlich noch Warten auf den neudeutsch so nett genannten Boarding Call. Die Zeit vertreibt man sich mit Literatur, Presse, Heißgetränken aus Pappbechern und dem Besuch der nächsten Sanitäranlagen. Diese sind in München verflixt sauber. Und bieten – auch wieder jeglichen Kontakt mit Mitmenschen raubend – in Automaten Gummivaginas an.
Im Freistaat empfiehlt sich ein Toilettenbesuch erst ab 18 Jahren.
Der Einstieg in die Maschine gen Hamburg verlief wie in Deutschland üblich einmal wieder gekonnt chaotisch. Man stürmt einfach den Flieger und steht dann erstmal mit seinem Handgepäck (in welches der clevere Geschäftsmann, nach Augenmaß den halben Hausstand hineingequetscht hat) im Gang.
Nach einer Zeit, in der Maschinen angelsächsischer Herkunft bereits abgehoben und die ersten Erdnüsse serviert hätten, sitzt man endlich. Und ein so viel jüngerer als man selbst aussehender Flugbegleiter schließt die Gepäckfächer über den Sitzen. Unserer war in diesem Fall nett. Hatte aber ein deutlich zu kurzes Jackett an. Aber es sei ihm verziehen.
In der Luft griff ich zu einem Buch, meine Kollegin saß an ihrem Laptop und arbeitete – mir dabei ein schlechtes Gewissen bereitend.
In Hamburg das Gepäck gegriffen und raus. Dort standen ganz schick und professionell Einweiser da, welche die Reisenden auf Taxis verteilten. Ich setzte mich nach Vorne, meine beiden Kolleginnen Tanja und Mari auf die Rückbank. Der Fahrer war ein Schwarzer, der vom Akzent und vom Namen seines am Amurturenbrett baumelnden Gewerbeausweises Ami gewesen zu sein schien. Welchen Weg können Menschen einschlagen, dass sie von den USA in den Straßen von Hamburg landen?
Ich blickte aus dem Fenster. Rote Backsteinhäuschen am Wegesrand. Ein Stadtpark. Alles flach. Vor uns dann Wasser. Die Alster? Links abgebogen und da stand das Atlantic Hotel. Ich denke an den Bond, in dem Desperate Housewife Terri Hatcher dort mit 007 im Bett landet. Sie war dann das der zwei Girls, die im Film gemeuchelt wurde. Bond-Schreiber werden wohl Münzen werfen, wen’s erwischt.
Unser Hotel lag nicht all zu weit davon weg. In einer kleinen Seitenstraße. Das Haus war gemütlich und sehr individuell. Bücherregale standen in den Ecken. Die Zimmer waren auf einzelne Gebäude verteilt. Meines war im „gelben Haus“. Tanja und Mari mussten sich eines teilen, war doch eine Reservierung anscheinend von irgendjemand mysteriöserweise annulliert worden. Wir trafen im Hotel auf unsere Kollegin Tuula aus Helsinki, die uns auf der weiteren Reise begleiten sollte. Auch unser Termin (ein Herr „besten Alters“ aus Flensburg) saß bereits im Café des Hotels. Er hatte sich noch mit einem alten Bekannten seinerseits getroffen.
Wir bezogen erst unsere Bleibe für die Nacht. Ein hübsches Zimmer. Schön geschnitten, individuell gehalten mit gutem Badezimmer.
Im nahen Subway versorgte ich mich mit einem Mittagessen und musste der jungen Angestellten, die alles und jeden ganz Ikea-Spokesperson-mäßig sofort duzte, erklären, dass es ja klasse sei, für das große Sandwich nur einen Euro mehr zahlen zu müssen, mir aber ein halbes voll und ganz genüge. Schnäppchenjäger verfetten früher. Zurück im Hotelzimmer gegessen und dabei den Boden mit Krümeln des watteähnlichen Sandwichbrotes geschmückt. Ein kurzer Wisch mit dem Schuh ließ diese dann unter dem Bett verschwinden. Alles soll ja seine Ordentlichkeit behalten.
Den Nachmittag verbrachten wir im Hotel über Kaffee und Tee sitzend bei Geschäftsterminen. Von der Stadt sah ich nichts. Ich hätte sonstwo sein können. Göttingen. Baden-Baden. Zu Hause. Bedauernswert, aber das Los des Dienstreisenden.
Unsere Abendveranstaltung fand nicht weit entfernt statt. Im Geschäft der finnischen Desingermarke Iittala. Der Abend lief gut. Es kamen Partner, mir wurden jede Menge Menschen vorgestellt und nebenher gab es Glöggi, die finnische Glühweinvariante, Mini-Piroggen und Fleischbällchen wahlweise mit Preiselbeeren oder Mango-Chutney. Der Weißwein schmeckte etwas zu gut. Auch ein Weihnachtsgeschenk fand ich. Wir bekamen Prozente.
Gegen 21 Uhr war der angenehme Spuk zu Ende, wir verabschiedeten uns von den netten Mitarbeitern von Catering und Shop und traten den Rückweg zum Hotel an. Vorbei am imposanten Hauptbahnhof der Hansestadt. Kurz dahinter blieben wir in einer Bar auf einem Abschlusstrunk hängen. Ich bestellte Whisky. Die lokale Biermarke erwies sich vor Ort teurer als in einer mir gut bekannten Kneipe in München. Punkt für Bayern.
Der Tag klang aus. Mit jeder Menge Eindrücken. Mein erster Geschäftsreisetag. Ein wenig chattete ich noch mit Bekannten, den Segnungen des mobilen Internets sei dank. Sucht könnte man mir auch unterstellen. Erschöpft, glücklich, überwältigt und leicht angetrunken fiel ich ins Bett...
Montag, 8. Dezember 2008
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