Freitag, 30. Januar 2009

Mein Karaoke am Polarkreis

Wenn ich überaus nervös werde, dann beginnt mein rechtes Bein unwillkürlich heftig zu zucken. Mein Kopf ist klar, doch das Bein macht sich selbständig. Ich möchte es festhalten. Aber das geht schlecht. Denn in den Händen halte ich ein Mikrofon.
Zusammen mit einer jungen Kollegin eines Reiseveranstalters stehe ich vor einer Karaoke-Maschine. Wir singen „Don’t Go Breaking My Heart“. Der Duet-Klassiker, der irgendwann mal von Elton John war, bevor das Stück von miesen Keyboards für Karaoke-DVDs eingespielt wurde. Wir singen übrigens äußerst schlecht. Vielleicht zuckt daher mein Bein.

Es ist mein erster Abend in Lappland, weit jenseits des Polarkreises. Große Teile Grönlands liegen weiter südlich als dieser Ort, an dem ich nun bin. Draußen ist tiefster Winter und schon seit 15 Uhr Nacht. An unser kleines Hotel ist die Dorfkneipe angeschlossen, ein eigentlich gemütliches Pub, in dem sich Freitagabends vor allem Einheimische tummeln. Touristen fallen hier auf. Wie die kleine Gruppe Schweizer am Nebentisch. Und wir.
Das Lied geht zu Ende und der MC des Abends erlöst uns. Er selbst singt auch. Und das recht gut. Wenn auch nur mit geschlossenen Augen.
Viele der Lappen sind sternhagelvoll. Vor allem die Männer. Einer fliegt über einen Tisch, an dem oben genannte Schweizer sitzen. Der Rausschmeißer taucht auf. Er ist ein blonder Bube von wohl knapp 18 Jahren. Für mich, der aus einem Land kommt, in dem Rausschmeißer meist aus ihren T-Shirts und schwarzen Lederjacken platzen und dabei irgendwas in Kanakisch brüllen, eine Überraschung. Der Junge ist aber verflixt gut in dem, was er tut, und der Tischflieger fliegt raus. Dort steigt er auf ein Fahrrad und macht sich in weiten Schlangenlinien – so kann man vermuten – auf den Heimweg.

Nachmittags sind wir angekommen. Auf einem Flughafen, dessen Terminal kleiner ist als der Edeka, in dem ich gelegentlich einkaufe. Finnisch Lappland ist in Schnee getaucht. Schnee. Schnee. Und noch mehr Schnee.
So viel Schnee, dass unser erster Stopp nach dem Flughafen ein Hotel aus Schnee ist. In hohen Bergen der weißen Pracht befinden sich Hallen, in denen Tische und Bänke aus Eis stehen. Dieses stammt aus dem nahen Fluss. Manchmal ist ein eingefrorenes Blatt oder ein Zweig zu sehen.
Der Bau ist betörend. Man verliert den Kontakt zur Außenwelt. Blaues Licht erhellt matt die Gänge. Die Zimmer in diesem Labyrinth aus Schnee warten mit einem Bettkasten aus noch mehr Eis auf. Man schläft in Schlafsäcken, die einen bis zu -30° warm halten sollen. Ich bin nicht versucht dies auf die Probe zu stellen. Jedes Zimmer ist einzigartig. Reliefs schmücken die weißen Wände. Eines zeigt eine Bärenfamilie. Ein anderes Fische und Seelöwen, aus deren Augen Lichter blitzen. Ein anderes ist mit Sternbildern geschmückt und in einem anderen wacht ein mächtiger Adler über die Schlafenden. Mir gefällt das Zimmer am besten, in dem ein nordischer Wald in den Schnee gemeißelt wurde – und darüber stellt eine Installation aus mehrfarbigen Licht und Eis die Aurora Borealis dar, das Nordlicht.
Die Tour endet in der Hotelbar. Auch der Tresen ist selbstverständlich aus Eis. Sowie Statuen. Und die Gläser. Uns wird Cranberry-Wodka eingeschenkt. Der Barkeeper, der auch wieder aus der Schweiz kommt, hält uns in seinem eidgenössischen Tonfall dazu an, möglichst schnell zu trinken. Sonst würde das Gesöff das Glas zum schmelzen bringen. Ich stürze den Wodka hinunter und eine wohlig süße Wärme strömt von meinem Magen in alle Glieder. Das Glas schmeiße ich auf den Boden. Es zerspringt. Dies soll Glück bringen.

Ich bin wegen eines Info-Trips für Reisebüros in Lappland. Organisiert wurde die Reise von einem größeren deutschen Veranstalter. Um mich herum sind lauter Expedienten, wie die Mitarbeiter der Büros genannt werden. Mit ihnen verbringe ich die nächsten Tage.



Die Dunkelheit, die im Januar noch bis spät in den Tag hinein dauert, macht das Aufstehen am folgenden Morgen schwer. Außerdem fehlt mir Schlaf. Am Tag zuvor war ich um 4 Uhr früh aus dem Haus gegangen, um meinen Flug zu erwischen.
Per Bus geht es Heute zu einem neuen Ausflug. Wir fahren durch die unendlich wirkenden Wälder Lapplands. Sie sind licht. Die zahlreichen Kiefern sind nicht besonders hoch und so schmal, dass man sie hier auch Kerzenbäume nennt. Zwischendrin stehen immer wieder Birken. Schließlich gelangen wir an unser Ziel: eine Rentierfarm.

Es ist nicht sonderlich kalt. Nur zehn Grad unter Null. Von unserem Hotel hatten wir winterfeste Overalls, feste Schuhe und übergroße Handschuhe erhalten. Zudem trage ich zum ersten Mal in meinem Leben schwarze Thermounterwäsche, in der ich aussehe wie ein untalentierter Pantomime. Und doch versteht es die Kälte, an mir hochzukriechen.
Rentierzucht gehört zum Leben der Menschen im Hohen Norden. Ihre Tiere laufen dabei die meiste Zeit des Jahres wild durch die Wälder und über die Fjälls Lapplands. Nur selten werden sie zusammengetrieben. So zum Beispiel zur sogenannten „Rentierscheidung“. Dabei werden schlachtreife Tiere ausgesondert und manch ein Männchen kastriert. Heute gibt es dazu spezielle Werkzeuge. Früher allerdings kastrierten die Lappen die Tiere mit ihren Zähnen. Schnie-Schna-Schappi, weg das Teil.
Das Fleisch wird traditionell getrocknet. Entweder in der hofeigenen Sauna oder an der eiskalten Winterluft. Die Felle werden zu Decken, Umhängen und selbst Schuhen.
Heute stehen nur wenige Rentiere in den Gattern der Farm. Sie sehen rund und weich aus, wie Rehe aus einem Zeichentrickfilm. Wir sollen sie nicht streicheln. Dadurch würden wir den Wärmeaustausch über die Haare der Tiere stören. Das Rentier friert, wenn man es liebevoll streicheln will.
Für uns stehen Schlitten bereit. Je zu Zweit nehmen wir Platz und lassen uns zehn Minuten durch den Wald ziehen. Hinter mir läuft ein weiteres Ren, das mir treu ins Ohr keucht. Wie ein Hund schwitzt es nicht, sondern kühlt sich mit weit aufgerissenem Maul. Es ist fast schneeweiß. Die Tiere sind schön.

Das Mittagessen, ein würziger Gemüseeintopf aus Kartoffeln und Pilzen, wird in einer buntgeschmückten Stube eingenommen. Wenige Tage zuvor sei hier der Weihnachtsmann zu Besuch gewesen. Eine Tanne steht in der Ecke. Und auf einem Tisch liegen Briefe, die an „Dear Father Christmas“ gerichtet sind. Langsam wird mir wieder wärmer. Zu trinken gibt es Beerensaft. Die Menschen hier sind stolz auf das, was die Natur ihnen bietet und wissen damit kulinarisch umzugehen.
Ich bin zu voll, um einen der Pfannkuchen zum Nachtisch zu essen. Diese darf ein jeder selbst über einem Lagerfeuer backen. Wir stehen dazu in einer Kate, einem riesigen lappischen Tippee. Der Rauch beißt und schleicht sich in die Fasern unserer Kleidung.

Im Bus nicke ich ein. Das mag am fehlenden Schlaf liegen oder aber auch an der gut aufgedrehten Heizung. Als ich wieder zu mir komme stehen wir im Nebel.
Wir sind auf einem der Berge des Landes. Knapp 600 Meter ist dieser hoch. In ähnlicher Höhe liegt mein Heimatort auf der Schwäbischen Alb… Lappland hat ein sanft welliges Landschaftsbild. Hügel erheben sich mit Eleganz über die Taiga-Ebenen.
Wir sind an einer Skilodge. Viel können wir nicht sehen. Gelegentlich kann man einen Unerschrockenen erkennen, der die Piste hinunter fährt. Nur wenige Minuten bin ich draußen.

Zurück im Hotel steht der nächste Programmpunkt an: Langlauf.
Ich hatte diese Sportart einmal probiert. Im Jahr zuvor. Dabei machte ich nicht gerade den gekonntesten Eindruck. Auf Skiern zu stehen ist für mich ungewohnt. Zu leicht verliere ich die Balance. So auch Heute. Doch ich gehe die Sache mit weniger Furcht an als beim ersten Mal an. Es macht Spaß, durch die Loipen zu gleiten. Es ist wieder nach vier und die Nacht hat sich erneut über Lappland gesenkt. Die Strecke ist allerdings beleuchtet und geht kilometerweit in die Wildnis. Ich genieße den Lauf. Mein Hintern verrichtet ebenfalls treu seinen Dienst und nimmt mir nicht übel, dass ich mehrmals auf ihn falle.
Nach einer guten halben Stunde gibt unser Guide warmen Beerensaft aus. Eine Wohltat.
Langlauf ist ganz ruhig und ganz entspannt. Man hört den Schnee, das Gleiten der Skier, seine eigene Atmung. Mir wird heiß. Der ganze Körper findet Bewegung. Ich denke darüber nach, im nächsten Jahr zurückzukehren und diesen Sport wirklich zu erlernen. Ich bewundere erneut die Natur.

Nach der Tour lege ich meine nun viel zu warme Kleidung ab. Die neue Tchibo-Thermounterwäsche ist durchgeschwitzt. Ich drapiere sie daher über die Heizung im Badezimmer.
Danach gehe ich runter in die Sauna. Sie ist klein. Aber gemütlich. Ich fühle mich verspannt und befürchte einen Muskelkater. Die Hitze tut da gut. Ich mache zwei Saunagänge mit zahlreichen Aufgüssen. Beim zweiten sitzen ein paar der Expedienten neben mir. Eigentlich sind es Geschäftspartner für mich. Nun sitzen wir nackt und schwitzend nebeneinander. Ich stelle mir ein wöchentliches Meeting unter diesen Voraussetzungen vor.

Das Abendessen wird um 19 Uhr serviert: Salate, eine Tomatensuppe und als Hauptgang Steak. Die Küche in diesem kleinen Hotel ist verblüffend gut. Zum Essen trinke ich finnisches Bier. Dieses ist viel schwächer als deutsches, schmeckt mir aber verblüffend gut.
Weiter geht es in die Hotelbar, in der Heute sich aber nicht so recht die Stimmung des Vorabends wiederholen will. Erneut findet unter der Leitung unseres lappischen Elvis Karaoke statt. Doch die Mischung stimmt nicht. Es fehlen die jungen Leute. Nur drei stehen neben dem Billardtisch. Dann kommen noch zwei völlig overdressede und überschmeckte Mädchen herein. Daneben sitzen zahlreiche Männer Marke Waldarbeiter an den Tischen. Lange bleibe ich Heute nicht. Ich unterhalte mich gut mit einer attraktiven Expedientin. Sie ist aus Hannover. Was soll man da machen? Ich singe Heute Abend nicht.



Am nächsten Morgen habe ich erstaunlicherweise keinen Muskelkater. Es ist der Tag, dem die meisten in unserer Gruppe am stärksten entgegengefiebert haben. So auch ich. Wieder ziehe ich die Winterkleidung an. Sie riecht noch nach dem Rauch vom Vortag.
Vor der Rezeption sammeln wir uns. Die beiden Guides, die uns Heute begleiten werden, führen uns einen Korridor entlang zu einem Lagerraum. Ordentlich liegen hier auf auf Regalen etliche Motorradhelme. Auch mir wird einer in die Hände gedrückt. Es ist das erste Mal, dass ich so ein Teil überziehe. Mein Kopf fühlt sich schwer an. Und etwas entrückt. Ground Control to Major Tom kommt mir in den Sinn.
Draußen hinter dem Hotel warten, in Zweierreihen stehend, ein Dutzend Schneemobile auf uns. Hier im Norden werden diese Maschinen ganz normal für den Personentransport benutzt. Für uns sollen sie Spaß darstellen.
Uns wird ihre Funktionsweise erklärt. Es scheint kinderleicht zu sein: rechts gibt man mit einem Hebel Gas, und links bremst man wie beim Fahrrad. Das kriege ich hin.
Zu Anfang lasse ich einen der Expedienten fahren. Ich bin nicht all zu scharf darauf. Nicht, dass ich keine Lust hätte, das Schneemobil zu fahren. PS haben mich nur noch nie reizen können.

Vom Rücksitz aus betrachte ich die Landschaft: niedrige Wälder. Weite. Sanfte Hügel. Der Himmel ist bedeckt. Es schneit so leicht, dass man Schneeflocken zählen kann. In der Kälte bleiben diese überall liegen. Auch auf dem Overall meines Vordermanns. Ich betrachte sie lange und frage mich, ob es stimmt, dass jede von ihnen einzigartig ist.
Das Schneemobil donnert über zahlreiche Bodenwellen hinweg. Das alles erinnert mich an „Big Thunder Mountain“ in Disneyland. Die Fahrt dauert hier aber gut 50 Minuten länger. Wir halten immer wieder, damit die Gruppe zusammen bleibt. Das gibt Zeit die Einsamkeit an diesem Ende der Welt zu bestaunen.

Mit Schwung geht es einen Hang hinunter und wir fahren mit Karacho über einen zugefrorenen Fluss. Unser Schneemobil beschleunigt auf 60 Stundenkilometer. Halt finde ich nur an einem dünnen Gurt vor mir. Oberhalb des Flusses sind einige bunte Häuschen zu erkennen. Diese sind das Ziel unserer Tour. Schon von weitem schallt uns ein Ohren betäubender Lärm entgegen. Es sind Huskys, die ungeduldig auf uns gewartet haben.
Die Tiere sind bereits angespannt. Auf dem Hof müssen gut 90 Hunde stehen, die uns wild kläffend begrüßen. Sie wollen laufen.

Einen Hundeschlitten zu führen ist gar nicht so schwer, stelle ich fest. Wichtig ist es, die Kraft der Huskys zu steuern. Gerade zu Beginn ziehen sie mit solcher Wucht, dass der Schlitten leicht umzukippen droht. Uns wird gezeigt, wie wir auf den Kufen zu stehen haben und wie wir bremsen müssen.
Ich stelle mich mit meinem ganzen Gewicht auf die Bremse unseres Schlittens. Mein Vordermann von gerade hat in einer Decke eingehüllt auf dem Schlitten selbst Platz genommen. Die Hunde ziehen wie verrückt. Man spürt schon jetzt ihre Stärke. Dann wird der Schlitten losgebunden. Er saust mit uns davon. Ich werde davon überrascht, wie viel Energie in diesen drahtigen Tieren steckt. Die ersten hundert Meter muss ich mit aller Macht auf der Bremse bleiben, um Kontrolle zu behalten.
Irgendwann laufen die Huskys ganz entspannt. Wir gleiten durch den lappischen Wald, einer Reihe weiterer Schlitten hinterher. Das freudige Gekläffe von eben ist wohliger Stille gewichen.
Ich hatte vergessen, wie stark Hundescheiße stinken kann. Huskys verrichten ihre Geschäfte im Laufen. Und sie verrichten sie oft. Der Geruch ist beißend würzig.
Nur noch selten muss ich auf die Bremse treten. Meine Finger sind eiskalt. Ich genieße die Fahrt. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier. Mir gibt dies so viel mehr als jeder PS-starke Motor.
Dann ist Wechsel angesagt. Der kann sich schwierig gestalten. Ich bleibe auf der Bremse stehen und lasse meinen Vordermann sich nun langsam darauf stellen. Würden wir dies nicht tun, so wären die Huskys plötzlich weg. Und wir ständen da. Allein.
Alles läuft glatt und ich mummle mich in der Decke ein. Weiter geht es durch den Wald, der friedlich in seinem weißen Kleid daliegt. Mir könnte es nicht besser gehen.

Nach dem Lauf wälzen sich die Hunde im Schnee. Wir können näher an sie heran, sie streicheln. Ein jeder von ihnen hat ein ganz eigenes Fell. Sie sind grau. Weiß. Beige. Ihre Augen sind tiefbraun. Wie dunkles Holz. Oder so eisblau als könne man durch sie bis an den Grund des Meeres blicken. Und ganz wenige von ihnen haben sowohl ein tiefbraunes wie auch ein eisblaues Auge. Ich habe selten Schöneres gesehen...

Wir werden zum Mittagessen gerufen. In einer großen Holzhütte gibt es Suppe mit Rentierfleisch, die mir wieder die Wärme in Hände und Füße treibt. Im Kamin prasselt ein Feuer.

Die Rückfahrt bestreite ich am Steuer des Motorschlittens. Es ist mittlerweile dunkel geworden. In mancher Waldkurve habe ich Probleme mit dem Gerät. Ich steuere dagegen. Eigentlich will ich nur noch zurück ins Hotel. Die Motoren heulen auf, als wir mit unseren Schlitten mit fast 70 km/h über die verschneite Taiga brettern.

Gut eine Stunde dauert die Fahrt. Ich fühle mich verspannt, als ich von der Maschine heruntersteige. Wir lassen sie dort hinter dem Hotel, wo wir sie Heute Morgen vorgefunden hatten. Ich gehe auf mein Zimmer, ziehe mich aus und streife einen Bademantel über.
In der Sauna sitzen schon zwei weitere Mitreisende. Ich brauche jetzt die Hitze.

Am Abend fahren einige von uns nach dem Essen noch in den nahen Skiort. Es ist Nebensaison und recht ruhig. Der Schnee scheint zu quietschen, wenn man über ihn geht.
Ich atme noch einmal die eisige Luft ein.

Ich bin am Ende der Welt und habe hier Dinge gemacht, die nur Wenige je machen werden. Das Land ist geprägt von atemberaubender Wildnis. Und doch genieße ich hier eine warme Stube, gutes Essen und Internet. Die Zivilisation ist überall. Auch hier. Und dennoch: der Mensch ist hier nur zu Gast.

24 Stunden später bin ich wieder zurück in München.

Sonntag, 11. Januar 2009

Mein Wochenende allein

Es ist Freitag. Man kommt aus dem Büro. Wieder später, als man wollte. Doch es ist: Wochenende. Und irgendwas geht. Immer. Muss doch.
Und man kommt nach Hause und es passiert... nichts.

Nun ist Sonntagabend. Zwei Tage sind ins Land gezogen. Ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Kein Ausflug, keine Bar, kein Club, nicht mal ein gemeinsamer Kaffee oder ein Bier. Man ruft Freunde am Freitag an. Was krank? Schade und gute Besserung.
Samstag: Du bist schon verplant? Ok, klar... Bis zum nächsten Mal.
Sonntag meldet sich schließlich der, mit dem man was ausgemacht hatte, nicht.

Ich hasse solche Wochenenden. Verschwendet. Es bringt ja nicht mal was, mir einreden zu wollen, dass es gar nicht schlimm ist, mal nichts getan zu haben. Dass ich mich ja habe ausruhen können. Und wer muss denn schon jeden Abend weg?
Niemand. Das stimmt. Deswegen gehe ich ja unter der Woche nur selten aus. Denn dafür gibt es ja das Wochenende. Eigentlich.

So bestand das Highlight meines Wochenendes darin, einen langen Spaziergang entlang der Isar zu unternehmen. Kalte Frischluft füllt meine Lungen. Ich fühle, wie meine Wangen rot werden. An den kiesigen Ufern des Flusses hält sich noch Eis.
Um mich herum Gruppen älterer Menschen. Jogger. Und Pärchen. Überall Pärchen. Sogar Pärchen von Pärchen. Die wenigen Einzelnen, die ebenfalls über die Uferbefestigung spazieren, gehen mit ihren Hunden Gassi. Und ich merke, wie sehr ich einen solchen Vierbeiner vermisse. Gerne hätte ich einen Hund. Aber was soll denn das arme Tier während meiner zahlreichen Reisen machen? Ich verwerfe den Gedanken und bedaure das sehr.

Meine Finger sind völlig durchgefroren als ich in die U-Bahn nach Hause steige.

Mein Wochenende neigt sich seinem zu.

Was für eine Verschwendung.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Meine erste Geschäftsreise, Teil 3

Ein unangenehmes Hotelzimmer kann einem die Nacht arg verleiten. Das Rasieren am Morgen übrigens auch. Und ich hege den ganz starken Verdacht, dass ich hier meinen wundervollen Füllfederhalter, den ich letzte Weihnachten von meinen Großeltern geschenkt bekam, vergessen habe. Auf spätere Nachfrage hatte das Hotel natürlich nichts gefunden. Gewisse Vermutungen gegen das Housekeeping-Personal stellen sich da ein...
In der Lobby treffe ich auf meine Damen. Diese haben gerade ein kleines Frühstück zu sich genommen. Etwas Obstsalat, Kaffee – nicht mehr. Das Hotel rechnet standardmäßig 14,95 € ab. Reisender, kommst du nach Frankfurt, mache einen weiten Bogen um das Leonardo Hotel am Bahnhof!

Ein junger Taxifahrer südländischer Herkunft – der best gekleidete seiner Zunft auf unserer Reise – wartet schon. Auf unserer Fahrt zum Flughafen verlieren wir uns in Fachgesprächen darüber, wie sehr Australien sein Tourismusmarketing derzeit auf den neuen Kinofilm „Australia“ mit Nicole Kidman aufbaut. In den USA floppte der Streifen bereits...

Der Check-In am Airport geht schnell von statten. So langsam weiß man die Automaten zu bedienen. Ich rufe Sandra an. Sie ist eine liebe Freundin, die mir einst mit ihrem Computer eine wichtige Präsentation rettete. Irgendwo in dem Gewusel des Frankfurter Flughafens arbeitet sie. Im Moment steckt sie allerdings noch im Stau. Unser abgemachter, gemeinsamer Kaffee muss warten. Ich bummle wartend durch Terminal 1. Überall Desinger-Boutiquen. Ein Buchgeschäft (in dem ich in Asterix-Alben schmökere) und eine Beate Uhse Filiale, deren Vorhang am Eingang gerade so weit auf ist, dass die Neugier geweckt wird.
Ich bin passenderweise auf dem Klo, als Sandra anruft um zu sagen, dass sie mittlerweile da ist. Wir landen bei Starbucks, wo sie Ermäßigungen bekommt. Ein kurzer Austausch, der noch kürzer wird, als ich von meiner Kollegin Tanja die SMS bekomme, mich ja zu beeilen da der Sicherheitscheck ewig dauern würde.
Check Nummer 1 endete mit dem selben, liebevollen Betatschtwerden wie in München, geht aber schnell. Es folgt die Passkontrolle, die daran erinnert, dass unser nächstes Reiseziel sich immer noch geradezu wehrhaft einem EU-Beitritt widersetzt. Dann weiter zu Sicherheitscheck Nummer 2, der nötig wird, da an unserem Gate auch internationale Reisende umsteigen ohne je offiziell deutschen Boden zu betreten. Hier zieht sich nun die Schlange und meine inneren Flüche auf die Schweizer Haltung Europa gegenüber werden kräftiger. Auch hier piepst es wieder und ich frage mich ehrlich, ob in meine Kleidung Stahl eingewebt wurde. Nach dem nun schon vertrauten Petting durch einen Sicherheitstypen bittet der mich auch noch, meine Schuhe auszuziehen. Die Hitze im Terminal bedingt, dass sich meine Socken nicht zu appetitlich darstellen. Aber es ist ja sein Job, nicht meiner.

Per Shuttle geht es zu unserer Maschine der Swiss. Wir nehmen Platz – und sitzen dann erst mal. Und sitzen. Aus dem Cockpit erfahren wir, dass der Flughafen wegen eines Notfalles gesperrt wurde. Durch das Fenster sehe ich Rettungsfahrzeuge vorbeijagen. Der Tag wird immer besser. Eine gute Stunde stehen wir am Boden. Wenigstens bekommen wir Toblerone. Die Schweiz wird mir wieder ein Stückweit sympathischer.
Als wir uns zu fragen beginnen, ob wir unsere Termine noch einhalten können, kommt das Okay zum Abheben. Wir fahren an einem United Airlines-Flugzeug vorbei, von dem meine Kolleginnen meinen, Flammen aus einem der Triebwerke zu sehen.
Kaum dass wir in der Luft sind kann ich bereits die Alpen erkennen. Unter uns der Bodensee. Ganz klar sind die Inseln Reichenau und Mainau auszumachen. Dort liegt Konstanz. Ein Freund von mir lebt dort... Ich kann meine Augen nicht von den Bergen nehmen. Sie bedecken den Horizont. Ich bete, dass ich im Leben nie so viel reisen werde, dass mich solch ein Blick aus einem Flugzeug nicht länger begeistern kann. Mit dem Wissen, dass ich uns damit wohl abstürzen lassen kann, schieße ich Fotos. Es ist atemberaubend.

In Zürich stehen wir am Gepäckband und warten auf Tanjas Koffer. In der Zwischenzeit lerne ich auf der Toilette, dass man in der Schweiz Türen nicht drückt, sondern stößt. Tanjas Koffer kommt nicht. Ein deutscher Herr mittleren Alters, der sich wie ich meine schon in Frankfurt aufgeregt hat und seinen „Senator“-Status-Trumpf ungefragt ausspielen musste, vermisst ebenfalls sein Gepäck. Und dies lautstark.
Die Schlange zieht sich mit einer wohl der Schweiz eigenen Gelassenheit – welche die Touristen nicht unbedingt zu teilen scheinen. Tanja’s Koffer ist weg. Dafür erhält sich ein hübsches Kulturtäschchen mit Zahnbürste, T-Shirt und „Frauenzeugs“.
Wieder nehmen wir ein Taxi. Die Zeit wird uns etwas knapp. Der Taxifahrer ist so nett und klärt uns darüber auf, wo man in Zürich die beste Bratwurst findet. Unser Hotel ist ein kleines Gasthaus im Herzen der Altstadt. Schon beim Betreten fühlt man sich wohl. Das Personal an der Rezeption ist mit solcher Selbstverständlichkeit freundlich, dass Frankfurt sofort vergessen ist. Im Zimmer, wo wieder Toblerone auf dem Kopfkissen liegt, reiße ich das Fenster auf und genieße die knackig frische Luft, die durch Zürich weht. Auf dem kleinen Platz vor dem Hotel wird gerade ein Weihnachtsbaum dekoriert. Mir gefällt’s.

Tanja und ich machen uns dann auf dem Weg zu unserem Gespräch bei einem Reise-Fachmagazin. Wir stoppen bei der uns empfohlenen Wurstbude direkt am Zürich-See. Der Taxifahrer hatte mit großer Wahrscheinlichkeit Recht und der dortige Hausmachersenf ist so herrlich scharf, dass mir die Tränen kommen.
Mit der Tram geht’s weiter. Die Büros, in die wir müssen, liegen im 3. UG. Horrorvorstellungen an so manche Souterrainwohnung, die man mal gesehen hat, kommen hoch – die Büros erweisen sich allerdings als wundervoll hell und geräumig.
Zurück in der Innenstadt fängt die nette Dame am Ticketschalter, wo wir die Bahnkarten für die Rückfahrt zum Flughafen kaufen, gleich einen freundlichen Plausch über München an. Zürich wird mir immer lieber.
Dieses Gefühl setzt sich fort, als wir durch kleine Gassen mit ihren charmanten Fachgeschäften spazieren. Neben Designerläden stehen jahrhundertealte Bäckereien – und ein weihnachtlich geschmückte Kondomhandlung. Die Schweiz hat mittlerweile bei mir eine ganze Reihe fetter Pluspunkte.

Unser nächster Termin mit einem Schweizer Reiseveranstalter ist wieder im Hotel. Danach geht es zu unserem letzten Abendtermin auf unserer großen Fahrt. Dieser ist in einer Wirtschaft, welche ein kurze Gasse weg liegt. Die Gäste sammeln sich zahlreich. Dieses Mal ist es kein Stehempfang wie in Hamburg oder Frankfurt, sondern ein gemütliches Abendessen. Man tauscht sich aus. Die Atmosphäre ist freundschaftlich. Ich versuche, nicht unbedingt gut, mein Schwäbisch hervorzukramen. Es heißt, die Schweizer schätzten mundartbewanderte Deutsche mehr als die Hochdeutsch sprechende Variante...
Die Schweizer erweisen sich als überraschend ausdauernd. Um viertel nach neun habe ich eigentlich mit einem alten Schulkameraden, der derzeit in Zürich an seiner Promotion arbeitet, verabredet. Peinlich berührt muss ich mich verabschieden, während meine Kolleginnen bleiben. Nicht der beste Eindruck, den ich hinterlasse. Ärgerlich. Aber ich möchte Benny wieder sehen. Als ich ihn irgendwann neben meinem begeisterteten – und von Müdigkeit gespickten – Redeschwall über meine neue Arbeit zu Wort kommen lasse, eröffnet er mir, er sei verlobt... Ich werde alt. Wir trinken in einer Bar hoch über den Dächern der Stadt zwei Bier.
Zu letzt kommt Benny noch mit ins Hotel. Wir reden weiter. Ich lerne, was ich tragen soll und was nicht. Trotzdem verzichte ich weiterhin wenn möglich auf Krawatten. Gegen Mitternacht verabschieden wir uns. Ich bin müde, lese aber noch ein wenig und schlafe dann erschöpft und immer noch überwältigt von den Eindrücken der letzten Tage ein.


Die Reise zurück nach Deutschland erweist sich als angenehm unspektakulär. Gemeinsam mit Tuula aus Helsinki geht es über den eleganten Züricher Hauptbahnhof zum Flughafen. Hier verabschieden wir uns. Das nächste Mal werden wir uns im Januar zur Reisemesse in Finnland sehen.
Hinter dem Sicherheitscheck, der dieses Mal zu meinem tiefsten Erstaunen ohne jeglichen Piep-Ton erfolgt, besorge ich noch etwas Schweizer Schokolade für meine Mutter, zu deren Geburtstag ich nun nach Hause fahre.

Der Flug ist wie Busfahren. Gerade mal 30 Minuten braucht es nach Stuttgart. Unter mir wieder Berge. Dann die schneebedeckte Schwäbische Alb. Ich erkenne Landschaften...

Die S-Bahnfahrt vom Flughafen zum Stuttgarter Bahnhof dauert fast eine halbe Stunde. Beim Aussteigen fällt mir ein am Fenster des Wagons klebender Psalm auf. Ich bin in Stuttgart. Wo sonst?

Erschöpft und mit einer Tüte mit fettigem Burger King-Inhalt falle ich in meinen Zug gen Ulm. Die vergangenen Tage waren Wahnsinn. So viel gesehen, so viel getan. So viele Menschen kennen gelernt. Ich bin müde. Und unglaublich dankbar.
Ich bin Geschäftsreisender.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Meine erste Geschäftsreise, Teil 2

Die Nacht fühlte sich kurz an. Ein morgendlicher Blick auf die noch dunklen Straßen brachte eine Überraschung: es schneite.

Als Süddeutscher verbindet man Schnee in Hamburg stets mit Schadenfreude. Wenn hier mal ein paar Flöckchen vom Himmel kommen, berichtet die Tagesschau gleich von einem Wetterchaos. Das da draußen waren aber keine paar Flöckchen. Das war ein ordentliches Schneegestöber. In Hamburg. (Später hieß es, in München sei es den ganzen Tag über sonnig gewesen...)
Der Weg zum Frühstück führte ins Freie. Meine so gut zum Anzug passenden schwarzen Schuhe erwiesen sich nur wenig wintertauglich und so schlitterte ich mit Koffer im Schlepptau den Bürgersteig entlang. Gebrochen habe ich mir nichts.
Ich war der letzte unserer kleinen, vierköpfigen Gruppe, der am Frühstückstisch eintraf. Müsli, Tee und ein Muffin waren meine erste Mahlzeit des Tages... weitaus mehr, als das was ich üblich zu mir nehme; es war ja im Zimmerpreis inbegriffen. Ein Schwabe bin ich, eine Schwabe bleib ich.

Der Fußweg zum Hamburger Hauptbahnhof war ebenfalls eine schöne Schlitterpartie im Schnee. Ich erwartete eine Nachrichtenkamera, die mich bei einem eventuellen Fall auf mein hübsches Hinterteil filmen würde, so dass ich dann als Beweis für eine Schneekatastrophe in der Hansestadt in den Hauptnachrichten hätte dienen können. Wider Erwarten schaffte ich es heil in die imposante Bahnhofshalle, die mit noch imposanteren Weihnachtsdekorationen geschmückt war. Hatte alles etwas mehr klasse als in München.
Neben einer Gruppe Schulkinder warteten wir auf unseren ICE nach Frankfurt am Main. Ich versuchte noch meine Bekannte Silke zu erreichen. Sie hatte sich eigentlich mit mir in Hamburg treffen wollen. Beim nächsten Mal eben. Hoffentlich sehe ich dann auch was von der Stadt...

Der ICE kam pünktlich. Die Fahrt war ereignislos. Vor den Fenstern alles weiß. Viel zu tun gab es noch. Der Zug bot kein Internet. Und das im Jahr 2008... und selbst der Handyempfang war mies. Die Region, die wir durchquerten, wurde mir auch einmal als „Hessisch-Sibirien“ beschrieben. Ich weiß nun, warum.

In Frankfurt regnete es. Dicke, graue Wolken hingen an den obersten Stockwerken der Hochhäuser. Mittlerweile vermute ich, dass Frankfurt einfach nicht möchte, dass ich es mag. Unser Hotel lag in einer Straße nahe am Bahnhof. Die Herberge können wir mal getrost bescheiden nennen.
Wir spazierten zu unserem ersten Termin vorbei an einer Reihe Döner-Buden, Sexshops (inklusive dem „Dolly Buster Center“) und einem Juwelier, vor dem zwei Polizeibeamte in einer Montur, die ich nur der GSG 9 zugetraut hätte, einen Jugendlichen nicht näher definierter Nationalität (das wäre wohl politisch nicht korrekt) bäuchlings auf den Boden vor der Tür gedrückt hielten. Sympathischer erster Eindruck... Im Erdgeschoss des Hochhauses der Europäischen Zentralbank lag ein Euro-Souvenirshop. Knapp dahinter lag eine Mercedes Benz Filiale mit angeschlossenem Café, in der wir unseren ersten Geschäftspartner des Tages trafen.
Dem Gespräch schloss sich ein weiterer Spaziergang durch die Frankfurter Innenstadt an: Hauptwache, Blick auf die Zeil und weiter im Slalomkurs zahlreichen Baustellen ausweichend. Manche von den Hochhäusern wirken, als neigten sie sich bedrohlich auf die Passanten. Wir durchquerten eine U-Bahn Station, deren Foto man ganz nett in den Duden neben den Begriff „abgefuckt“ setzen könnte. Als Kulisse einer Vergewaltigungsszene könnte sie auch ohne weiteres herhalten.
Ein kleines, recht altmodisches Café diente uns als Ort für den nächsten Termin. Lief gut. Gleich gegenüber war die Location für unsere Abendveranstaltung: der Laden von Marimekko, einer recht stylischen wie zeitlosen finnischen Modemarke. Nette Finnen bedienten uns. Es gab Rentierhäppchen. Lecker. Ein weiteres Viech, das ich also schon mal gegessen hab. Jetzt freu ich mich mal auf Elch.

Kurz vor 21 Uhr waren die Gäste fort. Ich hatte mich noch mit einer Freundin aus Studienzeiten verabredet, die ich seit 2006 nicht mehr gesehen hatte. Den Weg gestaltete ich mir kompliziert. Zwei mal stieg ich in der Frankfurter U-Bahn um, die niedlicherweise was von alten Straßenbahnen hat. Wenigstens hat man dort unter Tage überall Handyempfang (vermutlich um im Notfall die Polizei zu verständigen), wovon sich München ruhig mal eine Scheibe abschneiden könnte.
Gemeinsam saßen wir dann in einer gemütlichen Bar bei Bionade (ach ja... Zeitgeistgetränke haben schon was) und tauschten Geschichten aus. Es tat gut. Mittlerweile erkennt man gute Freunde sehr schnell daran, ob man nach Jahren, in denen man sich nicht gesehen hat, sich nichts mehr zu sagen hat oder sich so unterhält, als hätte man sich erst gestern zu letzt gesehen.

Gegen Mitternacht war ich im Hotel. Mein Zimmer ging zu einem Hinterhof raus. Unter der Nachtkonsole tummelten sich Wollmäuse. Ich ignorierte den Gedanken, was die Matratze wohl verbarg, und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Montag, 8. Dezember 2008

Meine erste Geschäftsreise, Teil 1

Millionen von Menschen sind unterwegs. Sie reisen von A nach B. Nutzen Bahn. Auto. Flug. Schiff. Wasauchimmer. In einer Zeit, in der e-mails in Lichtgeschwindigkeit um den Erdball verschickt werden und man sich bei Telefonkonferenzen mit den Kollegen aus Dubai, Perth und Braunschweig langweilt scheint das Bedürfnis in die Höhe geschossen zu sein, auch tatsächlich mit Menschen vor Ort sprechen zu müssen. Vor kurzem war mir dies alles noch fremd und ich blickte mit Staunen und Unverständnis auf diese Welt aus Meilenprogrammen und Rollkoffern. Das Staunen und auch die Unverständnis sind geblieben. Nur gehöre ich nun auch dazu: ich bin ein Geschäftsreisender.

Es war nun Anfang Dezember 2008. Der erste Schnee war bereits gefallen und wieder geschmolzen und ich war seit gerade einmal zwei Wochen in meiner neuen Arbeitsstelle, welche versprach, mich des Öfteren durch halb Europa – und vor allem gen Norden – zu schicken. Mit dem herannahenden Weihnachtsfest bot es sich an, in drei verschiedenen Städten für unsere Geschäftspartner kleine Abendveranstaltungen anzusetzen. Dies sollte mitunter auch den Zweck erfüllen, mich in diese Gesellschaft einzuführen.

So kam es, dass am Dienstag, den 2. Dezember, kurz vor 7 Uhr morgens mein Handy seinen fröhlichen Gitarrenklimper-Wecker erschallen ließ. Aus dem Bett raus, unter die Dusche, rasieren und schließlich in einen der neuen Anzüge hinein, die man sich extra für diese Anlässe zugelegt hatte. Draußen war noch dunkel und mir stellte sich die Herausforderungen, mein Gepäck zu schließen. Leicht zu reisen fiel mir noch nie leicht. Aber Gewalteinwirkungen gegen den Reisverschluss meines Koffers führten bislang immer zum Ziel.

Mit der U-Bahn – die in München in den Wintermonaten freundlicherweise stets so geheizt wird, dass man sich freudig wieder in die Kälte hinauswirft um dem Hitzschlag zu entgehen – ging es zum Ostbahnhof. Dort auf meine S-Bahn wartend, zog schnaufend eine alte Dampflokomotive vorbei. Wie aus einem Film der frühen 50er Jahre. Nur Heinz Rühmann fehlte am Bahnsteig...
Möchte man an der Verbindung zum Münchner Flughafen, der auf den nicht immer leicht zu ertragenden Namen „Franz Josef Strauß“ hört, etwas gutes finden, so kann man doch sagen, dass reichlich Zeit geboten wird, sich über die kommende Reise Gedanken zu machen. Während auf der 40-minütigen Fahrt das neue Hochhaus der SZ im malerischen Stadtteil Steinhausen (welcher mitunter am bekanntesten für seinen Straßenstrich sein mag) und schließlich die Ebenen Oberbayerns an mir vorbeiglitt, führte ich mir noch einmal die nun kommenden Tage vor Augen:
Heute sollte es noch nach Hamburg gehen. Zu letzt war ich als Zehnjähriger dort gewesen. Damals auf einem Campingplatz mit vielen Mücken und nahe eines der ersten bundesdeutschen IKEA-Häusern. Ich erinnere mich an Köttbullar. Nach einer kurzen Nacht sollte es weitergehen nach Frankfurt. Und schließlich Zürich.

Mein Flug ging von Terminal 2 aus. Man muss vermutlich dankbar sein, dass heutzutage Fluggesellschaften so rührend bemüht sind, den Kontakt zu ihren Mitarbeitern auf ein Minimum zu reduzieren. Das scheint den Passagieren nicht länger zumutbar zu sein. So stehen nun überall so nette Computer herum mit denen man selbst seine Bordkarte ausdrucken kann. Meine Miles&More Karte wollte die Maschine und schon wusste sie, wann ich wohin fliege. Ein gläserner Kunde zu sein überrascht immer wieder – gerade auch was seine Effizienz betrifft. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte kosten nur Zeit... Leider wird man Wolfgang Schäuble dennoch nie Standbilder errichten können...

Mein Frühstück nahm ich bei einem dieser Münchner-Kettenbäcker ein, der außer guten Brezeln (noch weigere ich mich, auf das „l“ zu verzichten) nicht viel mehr hat. Wenigstens sprach die Verkäuferin in breitem lokalen Dialekt.
Gemeinsam mit meiner Kollegin Tanja ging es durch die Sicherheitsschleuße, wo – wie wir herausfanden – in München brav nach Männlein wie Weiblein getrennt wird. Herren dürfen sich rechts begrapschen lassen, Damen links. Das Ablegen der halben Garderobe sowie die Bestrahlung sämtlicher Elektronikprodukte und Wertsachen, die ich bei mir trug, wurde stets immer noch von einem lustigen „Piep“ belohnt, welchem die gekonnt streichelenden Bewegungen der in Latex gehüllten Hand eines mittelalten Beamten folgte. Vor allem Singles mögen von einer Flugreise profitieren.

Es galt noch zu Warten. Fliegen ist überhaupt eine Sache der Geduld. Erst eine gute Stunde zum Flughafen, dann 10 bis 20 Minuten Selbst-Check-In und Gepäckaufgabe, 20 Minuten Warten und Begrapschen und schließlich noch Warten auf den neudeutsch so nett genannten Boarding Call. Die Zeit vertreibt man sich mit Literatur, Presse, Heißgetränken aus Pappbechern und dem Besuch der nächsten Sanitäranlagen. Diese sind in München verflixt sauber. Und bieten – auch wieder jeglichen Kontakt mit Mitmenschen raubend – in Automaten Gummivaginas an.
Im Freistaat empfiehlt sich ein Toilettenbesuch erst ab 18 Jahren.

Der Einstieg in die Maschine gen Hamburg verlief wie in Deutschland üblich einmal wieder gekonnt chaotisch. Man stürmt einfach den Flieger und steht dann erstmal mit seinem Handgepäck (in welches der clevere Geschäftsmann, nach Augenmaß den halben Hausstand hineingequetscht hat) im Gang.
Nach einer Zeit, in der Maschinen angelsächsischer Herkunft bereits abgehoben und die ersten Erdnüsse serviert hätten, sitzt man endlich. Und ein so viel jüngerer als man selbst aussehender Flugbegleiter schließt die Gepäckfächer über den Sitzen. Unserer war in diesem Fall nett. Hatte aber ein deutlich zu kurzes Jackett an. Aber es sei ihm verziehen.
In der Luft griff ich zu einem Buch, meine Kollegin saß an ihrem Laptop und arbeitete – mir dabei ein schlechtes Gewissen bereitend.

In Hamburg das Gepäck gegriffen und raus. Dort standen ganz schick und professionell Einweiser da, welche die Reisenden auf Taxis verteilten. Ich setzte mich nach Vorne, meine beiden Kolleginnen Tanja und Mari auf die Rückbank. Der Fahrer war ein Schwarzer, der vom Akzent und vom Namen seines am Amurturenbrett baumelnden Gewerbeausweises Ami gewesen zu sein schien. Welchen Weg können Menschen einschlagen, dass sie von den USA in den Straßen von Hamburg landen?
Ich blickte aus dem Fenster. Rote Backsteinhäuschen am Wegesrand. Ein Stadtpark. Alles flach. Vor uns dann Wasser. Die Alster? Links abgebogen und da stand das Atlantic Hotel. Ich denke an den Bond, in dem Desperate Housewife Terri Hatcher dort mit 007 im Bett landet. Sie war dann das der zwei Girls, die im Film gemeuchelt wurde. Bond-Schreiber werden wohl Münzen werfen, wen’s erwischt.

Unser Hotel lag nicht all zu weit davon weg. In einer kleinen Seitenstraße. Das Haus war gemütlich und sehr individuell. Bücherregale standen in den Ecken. Die Zimmer waren auf einzelne Gebäude verteilt. Meines war im „gelben Haus“. Tanja und Mari mussten sich eines teilen, war doch eine Reservierung anscheinend von irgendjemand mysteriöserweise annulliert worden. Wir trafen im Hotel auf unsere Kollegin Tuula aus Helsinki, die uns auf der weiteren Reise begleiten sollte. Auch unser Termin (ein Herr „besten Alters“ aus Flensburg) saß bereits im Café des Hotels. Er hatte sich noch mit einem alten Bekannten seinerseits getroffen.
Wir bezogen erst unsere Bleibe für die Nacht. Ein hübsches Zimmer. Schön geschnitten, individuell gehalten mit gutem Badezimmer.
Im nahen Subway versorgte ich mich mit einem Mittagessen und musste der jungen Angestellten, die alles und jeden ganz Ikea-Spokesperson-mäßig sofort duzte, erklären, dass es ja klasse sei, für das große Sandwich nur einen Euro mehr zahlen zu müssen, mir aber ein halbes voll und ganz genüge. Schnäppchenjäger verfetten früher. Zurück im Hotelzimmer gegessen und dabei den Boden mit Krümeln des watteähnlichen Sandwichbrotes geschmückt. Ein kurzer Wisch mit dem Schuh ließ diese dann unter dem Bett verschwinden. Alles soll ja seine Ordentlichkeit behalten.

Den Nachmittag verbrachten wir im Hotel über Kaffee und Tee sitzend bei Geschäftsterminen. Von der Stadt sah ich nichts. Ich hätte sonstwo sein können. Göttingen. Baden-Baden. Zu Hause. Bedauernswert, aber das Los des Dienstreisenden.

Unsere Abendveranstaltung fand nicht weit entfernt statt. Im Geschäft der finnischen Desingermarke Iittala. Der Abend lief gut. Es kamen Partner, mir wurden jede Menge Menschen vorgestellt und nebenher gab es Glöggi, die finnische Glühweinvariante, Mini-Piroggen und Fleischbällchen wahlweise mit Preiselbeeren oder Mango-Chutney. Der Weißwein schmeckte etwas zu gut. Auch ein Weihnachtsgeschenk fand ich. Wir bekamen Prozente.

Gegen 21 Uhr war der angenehme Spuk zu Ende, wir verabschiedeten uns von den netten Mitarbeitern von Catering und Shop und traten den Rückweg zum Hotel an. Vorbei am imposanten Hauptbahnhof der Hansestadt. Kurz dahinter blieben wir in einer Bar auf einem Abschlusstrunk hängen. Ich bestellte Whisky. Die lokale Biermarke erwies sich vor Ort teurer als in einer mir gut bekannten Kneipe in München. Punkt für Bayern.

Der Tag klang aus. Mit jeder Menge Eindrücken. Mein erster Geschäftsreisetag. Ein wenig chattete ich noch mit Bekannten, den Segnungen des mobilen Internets sei dank. Sucht könnte man mir auch unterstellen. Erschöpft, glücklich, überwältigt und leicht angetrunken fiel ich ins Bett...

Freitag, 28. November 2008



In letzter Zeit habe ich nicht viel geschrieben.

Stop. Das ist gelogen. Noch mal. Von vorn.

In letzter Zeit habe ich gar nichts mehr geschrieben.

Ja, wieso? Weshalb? Warum? (Gummipunkte für jeden, der jetzt das alte Sesamstraßen-Titellied im Hinterkopf hört.)

Nun, die vergangenen Monate waren nicht immer einfach. Zukunftsangst nennt man sowas. Voller Sorge was wohl wird, wenn man keinen Job findet. Oder wenn man den Job weitermachen muss, der einem langsam aber sicher ein Magengeschwür verpasst. Kurz: ich kam aus dem Jammern nicht mehr raus. Und zu viele Freunde und Bekannte mussten darunter leiden. Mein Dank geht an deren Geduld, die ich auf eine harte Probe gestellt haben muss.

Doch jetzt ist so vieles anders: seit etwas mehr als einer Woche arbeite ich für - ich bitte um Tusch! - Finnland... Für alle, die sich jetzt am Kopf kratzen mögen: aus Finnland kommen so lustige Leute, die Sportarten wie Handyweitwurf und Frauentragen erfinden, mehr Kaffee, der zudem so stark ist, dass er einem Italiener die Tränen in die Augen treibt, als jeder andere Erdenbürger runterkippen, als schwermütig gelten und trotzdem mit mittelerdischer Brachialmusik und Schwitzkultur die Welt erobern. Sie geben nette Kollegen her.

Ich fühl mich wohl. Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten. Und neue Abenteuer warten auf mich.

Und wenn ich nicht wieder völlig schlafe, teile ich das ein oder andere auch an dieser Stelle...


Montag, 23. Juni 2008

Porno in der Bahn

Ich fahre gerne Bahn. Bequem sitzend, gleitet das Land an einem vorbei. Mit seinen Städten, Häusern, Wäldern, Feldern.
Und wenn man von seinen Städten, Häusern, Wäldern und Feldern mal genug haben sollte, greift man zu einem guten Buch – oder der bahneigenen Zeitschrift „mobil“.
Ein tolles Blatt. Mit den Infos der „Bild der Frau“ in einer Aufmachung ähnlich dem „Stern“. Wie kann man so was nicht mögen?

Letztes saß ich an einem Vierer-Tisch im ICE „Flensburg“ von München nach Ulm (mit Weiterfahrt nach Stuttgart, Frankfurt und Kassel, wenn’s interessieren sollte) und griff nach einer der aktuellen Ausgaben der „mobil“, die auslagen. Jodi Foster zierte das Titelblatt. Schon mal gut. Ein paar Artikel überflog ich, dann wollte ich den Stapel mit den Bahnzeitschriften bei Seite schieben.

Erst jetzt fiel mir auf, dass der Stapel etwas hoch war für zwei Ausgaben der „mobil“. Ich schon die Zeitschriften leicht auseinander – und stieß auf, sagen wir mal, „Männer-Lektüre“:
Eine leicht pummelig-üppige junge Frau in schwarzem Negligé und verrenkten Beinen, so dass ich ihre Position nur als „unbequem“ beschreiben kann.

Ich gehe davon aus, dass es kein neuer Service der Deutschen Bahn ist, Magazine auszulegen, deren einziger Sinn und Zweck es sein mag, zu naturverträglich zu verkleben....

Wer hat dann aber diese Sexheftchen an meinen Platz gelegt? War es ein leicht verhaltensgestörter Schaffner, der ältere, weibliche Passagiere entsetzen wollte? Waren es junge Männer, die es für humorvoll – und möglich – hielten, jemandem die Schamensröte ins Gesicht zu jagen?
Oder war es jemand, der einem Unbekannten einen bizarren Gefallen tun wollte?


Mein Ding ist es nicht und ich zitiere aus einem Puppen-Musical: the *Internet* is for porn... nicht die Bahn.
Das Wichsmagazin verdecke ich mit Jodi Foster....

Donnerstag, 22. Mai 2008

Meine Tagesreise

6:30 Uhr in der Lufthansa-Maschine von München nach Paris. Es ist Samstag. Was heißt, dass nur Touristen im Flieger sitzen. Ich scheine der einzige in schwarzen Schuhen zu sein. Alle anderen tragen Turnschuhe von der Sorte, die so unglaublich gemütlich sind, das Wochenende durch eine europäische Großstadt zu traben – und so aussehen, als hätten sie das schon ein paar mal gemacht. Links neben mir sitzt ein Ehepaar, das vergnügt in einem Paris-Führer blättert. Rechts von mir, nur durch den Gang getrennt, ein während des Fluges pennender Typ Marke Südeuropäer mit verflixt tiefen V-Ausschnitt im T-Shirt, auf dass man deutlich sehen kann, dass er seine Brust rasiert, dies aber schon seit einiger Zeit nicht mehr getan hat. Daneben noch mal ein junges Pärchen. Sie sehr blond, er trägt eine graue Baseball-Mütze mit der dadaistischen Aufschrift „Billabong“ – und sie blättern in einer Broschüre meines Arbeitgebers. Irgendwie erfüllt mich das mit der Zufriedenheit eines jungen Teenagers, der gerade zwei Klassenkameraden beim Knutschen erwischt hat.
Der Flug verläuft angenehm ereignislos. Ich sollte eigentlich schlafen. Kann aber nicht. Seit kurz vor 4 Uhr bin ich auf den Beinen. Eine Zeit, von der ich sonst nur leicht ungläubig andere erzählen höre... Ich blättere in der Samstagsausgabe der SZ, die kostenlos im Terminal auslag. Erdbeben in China, Sturm in Birma, Pipeline-Explosion in Nigeria. Daneben noch Kommentare zum deutscher EM-Mannschaft. Zum Frühstück wird ein Mini-Brötchen mit Putenschinken und ein noch kleinerer Twix-Riegel gereicht. Der fragende Gedanke kommt mir, wie viel Umsatz wohl Süßwarenproduzenten mit Flugzeugportionen ihrer kariesfördernden Produkte machen.

Ich bin auf Geschäftsreise. Meiner ersten. Zusammen mit meiner Kollegin Katrin, die ein paar Reihen vor mir tatsächlich den Schlaf der Gerechten schläft. Beneidenswert.
Wir erreichen den Flughafen Charles de Gaulle nach Zeitplan. Wir sind hier, um eine Boyband abzuholen und mit ihnen den Tag über ein Shooting in Disneyland durchzuziehen. Die Jungs sind um die 20, nett und pünktlich. Sie haben das gewisse Abgefahrene, was man wohl braucht, um die Herzen junger Mädchen zu packen. Ich hatte von Ihnen vorher noch nie gehört. Aber meine musikalischen Kenntnisse haben irgendwann Mitte der 90er Jahre aufgehört. In dem Sinne bin ich schon alt, bevor ich alt bin. Schon tummeln sich die ersten Groupies um die Band und ich denke mir, ich habe das Falsche im Leben gelernt.
Katrin fährt mit den Jungs voraus, ich warte am Flughafen auf die Produktionscrew.
Ich sitze im Untergeschoss des Terminals 1 mit seinem Bahnhofstoilettencharme und esse ein erschreckend teures Schinken-Sandwich – die wohl französischste Spezialität, die ich in meiner Zeit Frankreich kennen gelernt habe.
Es dauert bis die Crew ihr Gepäck hat und ich sie begrüßen kann. Sie haben vier Mädchen mitgebracht, die als Fans den Tag mit der Band verbringen sollen. Aber wir wollen ihnen erst mal weiß machen, die Jungs hätten es nicht geschafft zu kommen. Plötzlich finde ich mich vor der Kamera wieder. (Nachdem ich einen Bettler verscheucht habe – Willkommen in Paris...) Gerechnet hatte ich damit nicht. Noch bevor ich darüber nachdenken kann, dass ich mich doch noch hätte rasieren sollen, sag ich einen kleinen Text auf. Der Beginn einer großen Karriere wird es wohl nicht sein...

Disney hat uns einen Minibus als Transport besorgt. Wir quetschen uns hinein und mit freudigem Erstaunen stelle ich fest, dass ich mich während der Fahrt hervorragend mit dem Fahrer auf Französisch unterhalten kann. Der rechts neben mir sitzende Kameramann ist ebenfalls ganz sympathisch.
Wir sind etwas spät dran, als wir das Resort erreichen. Wir machen uns auf den Weg zu den Walt Disney Studios, wo wir die Presseleute von Disney treffen (inklusive Katrin) sowie die zwei Manager der Band. Wir fangen an, vor dem Eingang des Parks die Fan-Mädchen zu filmen als dann – Überraschung! – die Jungs der Band hinzukommen. Ein großes Hallo und ich blocke ein paar neugierige Touristen ab.
Die erste Frage, die es zu klären gilt, ist wohin mit den Taschen der Produktionscrew. Ich schlage Guest Relations vor – da ich weiß, dass ich mich darauf verlassen kann und da ich hoffe, ein paar alte Kollegen wieder zu sehen. Von den vier hinter der Theke kenne ich noch zwei. Hinten im Büro sitzen zwei meiner alten Chefs. Meine Bitte wird mir nicht abgeschlagen. Die Zeit mit ihnen ist allerdings zu kurz. Ich bin hier zum Arbeiten und nicht aus Nostalgie.
Zurück zum Team. Das Wetter hat sich zum Positiven gewendet und eine beachtliche Entourage zieht da durch den Park: insgesamt sind wir 20 – mit Band, Fans, unseren Presseleuten, unseren Broadcastern, Band-Managern und der dreiköpfigen Produktionscrew. Nur am Rande bemerke ich, wie normal es mir erscheint, wieder hier zu sein...
Wir machen Aufnahmen im ganzen Park: bei High School Musical, auf dem Rock’n’Rollercoaster, vor Hollywood-Kulissen. Schließlich fahre ich mit „Crush’s Coaster“. Auf dem Weg aus dem Park hinaus treffen wir auf den Schauspieler Christian Ulmen. Er hatte in der Zeit, die ich am Flughafen verbrachte, Fotos für uns schießen lassen. Ich kenne seinen VIP-Guide und kann eine ganze Minute plaudern. Dann geht’s weiter.

Kaum eine Stunde haben wir in den Studios verbracht. Schnell holen wir die Taschen der Crew ab mit der Absicht, es dann in der Gepäckaufbewahrung am Disneyland Park abzugeben.
Disneyland selbst ist erfüllt mit Leben. Freundlich klingt die Musik über die Main Street. Es ist, als wäre ich nie weg gewesen.
Allerdings: als ich an der City Hall vorbeigehe – mein Wirkungsort für mehr als ein Jahr – sehe ich kein alt bekanntes Gesicht mehr. Disney ist paradox in der Hinsicht, dass es sich nie zu ändern scheint – und doch verliert mein so sehr die Menschen dort, wenn es einmal verlassen hat. Ein weiter Ex-Chef sieht mich und kommt auf mich zu – auch wenn er meint, er habe gar keine Zeit. Da sind wir schon Zwei. Es tat gut, ihn zu treffen. Kurz mache ich noch bei Baby Care Halt, wo ich auch noch eine Ex-Kollegin treffe.
Schließlich: Mittagessen. Alle anderen sitzen schon an ihren Tischen in dem eleganten Büffet-Restaurant mit seinen Marmorböden und antiken Lampen. Es schmeckt.

Dann weiter. Das Programm ist eng. Noch Aufnahmen bei Space Mountain und Big Thunder Mountain. Weiter zur Parade. Es ist nun fast 17 Uhr. Katrin und ich müssen zurück zum Flughafen. Der letzte Flug geht zwei Stunden später.

Schnell – etwas anderes gibt es Heute nicht – muss ich doch noch zur City Hall. Diesmal tatsächlich geschäftlich. Im Gang treffe ich auf liebe alte Kolleginnen. Eine stellt gleich die Frage, die sie schon in den 14 Monaten, in denen ich mit ihr gearbeitet habe, so gerne gestellt hat und fragt mich, ob ich denn in Deutschland schon eine Freundin gefunden habe. Irgendwie scheinen die versteckt fragenden Anspielungen meiner Großmutter plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Es tut gut, die Drei wiederzusehen. Aber ich hab keine Zeit. Ich würde es bedauern, doch bin ich in erster Linie dankbar, diese Menschen überhaupt gesehen zu haben – wenn auch viel zu kurz. Ich hinterlass eine kurze Grußbotschaft für die, die nicht da sind. Dann in den ersten Stock, um für die Band einen Umschlag abzuholen. Noch ein kurzer Plausch mit zwei weiteren Ex-Kolleginnen.

Und dann ist 5. Ein wenig wie Cinderella um Mitternacht, so muss auch ich nun gehen. Schnellstens. Der Zauber ist vorbei.
Wir verabschieden uns von Band, Fans, Managern und Crew. Unser Transport mit dem freundlichen älteren Franzosen, der uns auch schon hergefahren hatte, wartet bereits. Kaum dass wir im Auto sitzen, beginnt es zu schütten.
Der Fahrer wählt eine Strecke über Landstraßen und durch kleine Dörfer. Die Landschaft wirkt so friedlich und wie aus einem französischen Bilderbuch. Der Regen hört auf, die Sonne kommt hervor. Und über die weiten Ebenen aus Äckern, Wäldchen und kleinen Dörfern spannen sich zum Abschied zwei Regenbögen.

Der ganze Tag war wie ein Traum, der einem beim Erwachen so schnell entgleitet. Katrin und ich sind müde, wollen jetzt nur noch nach Hause. Doch der Rückflug verspätet sich um eine Stunde. Als wir endlich im Flieger sitzen, entschuldigt sich der Pilot mit den Worten, die Maschine habe technische Probleme gehabt...
Kurz nach 20 Uhr heben wir ab. Wieder kann ich nicht schlafen. Dieses Mal sitze ich am Fenster. Zum Abendessen reicht man uns exakt das Selbe, was es bereits zum Frühstück gab. Ich blicke hinaus. Unter uns Wolken, die mal sanft wie eine Decke daliegen und sich mal in Höhen auftürmen und in Täler absenken. Hinter uns die Abendsonne, die alles in ein goldenes Licht taucht. Ich kann nur daran denken, wie sehr mir mein Leben gefällt und welche Chancen es noch bietet. Und ich bin dankbar. Es war ein schöner Tag.

Um Mitternacht liege ich im Bett. Erschöpft. Müde. Glücklich.

Samstag, 3. Mai 2008

Mein leben in München: Geld

Geld zu haben oder es nicht zu haben, das ist in München keine Frage. Man hat es einfach, oder – wie in meinem Fall – man hat es nicht. Dann sollte man aber auch nicht darüber sprechen. Und es sich auch bloß nicht anmerken lassen!

So kam es, dass ich mich neulich zu einem Einkaufsbummel habe hinreißen lassen. Passenderweise heißt Münchens Haupt-Einzelhandelszone „Kaufinger Straße“, an der sich die beiden größten deutschen Kaufhausketten Duelle liefern. Daneben finden sich ein renommierter lokaler Herrenausstatter sowie die üblichen, weltweit agierenden Verdächtigen wie Zara und H&M. Geld ausgeben fällt leicht, gerade in einer Stadt, die es ganz gerne hat, etwas kostspieliger zu sein. Es finden sich auch zahlreiche kleinere Geschäfte. Spezialisten etwa, wie der auf Notenblätter spezialisierte Laden am Rathaus. Und fantastische Lebensmittelhändler wie der aus der romantisierenden Fernsehwerbungen hinlänglich bekannte Dalmayr – der allerdings weit aus mehr verkauft als eben nur Kaffee. Vom Viktualienmarkt, auf dem ich schon so manchen Euro gelassen habe, will ich gar nicht anfangen.

Geld wird in München ausgegeben. Es zu haben, wird vorausgesetzt. Wer es nicht hat, sollte besser so tun als ob. Und dann lässt sich dort hervorragend leben: die Restaurants und Cafés, die Clubs und Bars, die Theater und Museen, die Geschäfte und Biergärten. Ich bin gerne dabei.

Meinem Konto tut das nicht gut. Aber darüber redet man besser nicht. Man ist ja in München.

Samstag, 26. April 2008

Mein Leben in München

Wann ist man in einer neuen Stadt angekommen? Wann fühlt man sich dort heimisch, wo gerade noch unbekannte Straßen, Plätze, Menschen waren? Wann ist man nicht mehr fremd?

Seit bald drei Monaten bin ich nun in München. Erst langsam lerne ich seine Eigenheiten und seinen Charme richtig kennen.
Noch fehlt mir viel. Vor allem ein Leben mit und unter anderen. Neue Leute sind da draußen – nur lerne ich sie nicht kennen. So verbringe ich Samstagabend oft allein. Die Stadt bei Nacht bleibt mir eine fremde Schönheit.

Ich entdecke Neues: neue Geschäfte, neue Straßen, neue Cafés. Den Hofgarten, in dem so oft Straßenmusikaten aufspielen. Die aufregend gefüllten Theken beim Dallmayr. Die bunten Gestalten in der U-Bahn.

Noch kommt es mir komisch vor, wenn ich jemanden in Tracht sehe. Die tragen hier viele. Jung wie alt. Viele auch Zugezogene. Es gehört zum Bild.

Ich lebe in München. Und das gerne. Aber noch pass ich nicht ganz in die Stadt.
Erst, wenn ich Samstagabend nicht mehr alleine zu Hause herum sitze, dann bin ich angekommen...

Montag, 25. Februar 2008

Samstag, 16. Februar 2008

München - Meine Wohnung













Es kommt eine Zeit im Leben eines jungen Menschen, zu der er das erste Mal das Elternhaus verlässt und sich alleine in der Welt herumschlagen muss. Mit Wäsche waschen, Nebenkosten und Vermietern.
In den letzten Jahren bin ich bei diesem Kampf durch so manche Wohnung gekommen. Ich habe schon in einer klammen Kammer mit lärmenden Kühlschrank neben dem Bett gewohnt, im obersten Stock eines schwankenden Hochhauses mit beeindruckender Aussicht auf die Errungenschaft der Ludwigshafener Chemie-Industrie, zur Untermiete bei einem Typen, dessen Geschäfte wohl nicht immer ganz legal waren, wie ich Heute noch vermute, und gemeinsam mit mal einem Engländer, mal einem Amerikaner, mal einem Chinesen, Belgier oder Franzosen in einem Zimmer zusammen.
Nun bin ich in München. Und fühl mich zutiefst unwohl. Vielleicht ist es das auch bei mir voranschreitende Alter, dass ich einiges einfach nicht mehr hinnehme... Eine ältere Dame (von jetzt an „Die Alte“ genannt) hat mir ein möbliertes Zimmer in ihrer Altbau-Wohnung untervermietet. Seit sechzig Jahren lebe sie hier, meint sie. Man merkt es. Überall Krimskrams, coole Möbel aus den 50ern und grausige Möbel aus den 60ern. Und dann Zeugs, was wohl nur in Bayern findet: ein Mini-Abendmahlset steht im überladenen, dunklen Flur. Ein Ludwig-Zwo-Porträt hängt im noch dunkleren Esszimmer, wo Die Alte abends stundenlang in ihrer Ecke vor einem Computer hockt. In meinem Zimmer ziert die Holzfigur irgendeiner dubiosen Heiligen eine der Ecken. Fast könnte ich sie lieb gewinnen, stünde sie nicht für alles, was ich nach gerade mal zwei Wochen an diesem Laden hier verabscheuen gelernt habe: es ist dunkel, angestaubt, überladen – ich ringe nach Luft.

Vergangenes Wochenende wurde mir morgens von der Vermieterin alias Die Alte nahe gelegt, doch bitte auch den Duschvorhang im Badezimmer nach der Dusche abzutrocknen... Ich mag nicht recht in die Küche. Ich meine, auf rohen Eiern zu gehen. Ich bin bei ihr zu Hause. Nicht bei mir. Und dafür zahle ich teuer.

Doch ich lerne. Zum Beispiel, mehr Acht darauf zu geben, wann ich den Mietvertrag zu sehen bekomme. In diesem Fall war es ein guter Tag nach meinem Einzug. Was hätte ich anders tun können als unterschreiben? Das war wohl ein Fehler... Nun, so der Vertrag, bin ich verpflichtet, Besuch anzumelden – und auf Übernachtungsgäste werde ein Aufschlag erhoben. Ich will niemanden einladen. Das ist mir so unangenehm.

Schon lange habe ich mich in meiner Haut nicht mehr so unwohl gefühlt wie hier. Es ist nichts, was sie („Die Alte“) exakt gesagt oder getan hätte. Es ist nicht so, als könne ich nicht in die Küche. Es ist nicht so, als wäre ich auf diese vier Wände beschränkt. Aber ich fühle mich eingesperrt. Gegängelt und nicht gerade respektiert.

Eigentlich ist die Wohnung in ihrem stickigen Chaos lustig: mit ihren Heiligen, den übervollen Schränken und Regalen, dem alten Holzfußboden, den uralten Urkunden, die der Familie der Alten irgendwann mal einen bescheidenen Adelstitel attestierten – und ihren zahlreichen Uhren... von denen keine richtige läuft. Nicht im Bad. Nicht in der Küche. In meinem Zimmer ist es ständig kurz nach 3. Welches 3, weiß ich nicht.

Es ist eine tote Wohnung. Ohne Leben. In zwei Wochen bin ich hier draußen. Ich habe meine Kündigung eingereicht. Die Alte ist nicht begeistert. Will die Kündigung nicht akzeptieren Doch ich gehe. Mitleid habe ich da keines.... Noch kämpfe ich auf dem erbarmungslosen Münchner Wohnungsmarkt. Aber ich weiß: hier kann ich nicht bleiben.